Walther Tröger, der Funktionär im besten Sinne

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Foto: Sven Teschke, CC BY-SA 3.0 de, Wikimedia
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Foto: Sven Teschke, CC BY-SA 3.0 de, Wikimedia
Zusammen mit Willi Daume bildete er das sportpolitisch einflussreichste Duo des (west-) deutschen Sports in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Walther Tröger war von 1961 bis 1992 zunächst Geschäftsführer, dann Generalsekretär des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland (NOK), schließlich zehn Jahre dessen Präsident, nicht zuletzt 20 Jahre lang IOC-Mitglied. All seine Ämter aufzuzählen, fehlt hier der Platz. Eine Honorar-Professur kam später auch noch dazu. Über den Sport hinaus wurde Tröger zum Zeitzeugen der Weltgeschichte beim Terror-Überfall auf die Olympischen Spiele 1972 in München.

In der Konstellation mit dem brillanten, aber auch wechselhaften Daume war Tröger die Konstante, ein weithin geschätzter Fachmann, der zwischen 1964 und 2014 an 27 Olympischen Sommer- und Winterspielen teilnahm, ein Freund der Athleten, dessen Blick aber auch über den Tellerand der Stadien hinausreichte. So engagierte sich Tröger für olympische Geschichte und Erziehung, organisierte zunächst beim NOK die sogenannte Sportentwicklungshilfe und leitete später beim IOC die Kommission Sport für Alle. Tröger kannte sich nicht nur aus, er war auch überall auf der Welt bekannt: ein Netzwerker, bevor es diesen Begriff überhaupt gab. All dies machte ihn zu einem Sportfunktionär im besten Sinne.

Umso bitterer waren für Tröger, der am 30. Dezember 2020, 36 Tage vor seinem 92. Geburtstag, in Frankfurt am Main verstarb, die Umstände seiner Abwahl als NOK-Präsident 2002. Auch wenn man ihm bis zu seinem Lebensende ein Büro in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise überließ, fühlte er sich zu Unrecht abgeschoben, als Opfer einer Intrige.

Aber der Reihe nach.

Flüchtling, Universitätssportler, Jurist
Geboren am 4. Februar 1929 in Wunsiedel, aufgewachsen in Breslau, als jugendlicher Flüchtling nach Oberfranken zurückgekehrt, studierte Tröger nach dem Zweiten Weltkrieg Jura in Erlangen, spielte dort aktiv Basketball und trat seine ersten Sportämter an. Auch hauptberuflich schlug er die Funktionärs-Laufbahn ein, übernahm 1953 das Generalsekretariat des Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverbandes, bevor er 1961 zu NOK und DSB, damals noch in Doppelfunktion von Daume geführt, wechselte, zunächst als Geschäftsführer und Abteilungsleiter für internationale Beziehungen, dann als NOK-Generalsekretär. Zusammen schrieben beide Sportgeschichte.

Tröger war dabei, als 1965 bei der IOC-Session in Madrid das Aus für die (bis dahin von Daume und IOC-Präsident Avery Brundage gegen die politische Realität der deutschen Teilung durchgesetzten) gemeinsamen west- und ostdeutschen Olympiamannschaften beschlossen wurde - und als Daume daraufhin die Olympiabewerbung Münchens für 1972 zum neuen Projekt kürte. Mit Erfolg. Als Mitorganisator hat Tröger selbst maßgeblich zum Gelingen der "heiteren Spiele" beigetragen, aber in seiner Rolle als Bürgermeister des Olympischen Dorfes auch deren düsterste Stunden hautnah miterlebt: die Geiselnahme und Ermordung israelischer Sportler durch palestinensische Terroristen. Im Gegensatz zu Daume war Tröger dafür, die Spiele fortzusetzen, wie es dann auch geschah.

Diener zweier Herren
In seinen vielleicht besten Jahren, den Achtzigern des 20. Jahrhunderts, avancierte Tröger sogar zum begehrten Tanzpartner auf zwei Hochzeiten: Hier Daumes Generalsekretär und Organisator des wichtigen Olympischen Kongresses 1982 in Baden-Baden, dort von 1983 bis 1990 (damals noch ehrenamtlicher) Sportdirekter des Internationalen Olympischen Komitees. Ein Pendler zwischen Frankfurt am Main, der Hauptstadt des westdeutschen Sports, und Lausanne, dem Sitz der olympischen Weltregierung.

Doch das machte Tröger auch zu einem Diener zweier Herren. Denn in Lausanne herrschte der Spanier Juan Antonio Samaranch; der hatte 1980 in Moskau Daume bei der Wahl zum IOC-Präsidenten geschlagen. Ob dieses Votum ohne den US-amerikanischen Olympiaboykott, an dem sich das westdeutsche NOK trotz Daumes Widerstandes beteiligt hatte, anders ausgegangen wäre, darüber ließe sich streiten. Sicher ist, dass Daume seither Samaranch in herzlicher Feindschaft zugetan war.

Tröger hat später erzählt, wie ihm Samaranch die Stelle des hauptamtlichen IOC-Sportdirektors antrug. Denn der Katalane, der einen ausgeprägten Machtinstinkt besaß, wollte das IOC aus seinem Dornröschenschlaf erwecken und als professionelle Organisation aufstellen. Tröger sollte ihm dabei helfen und von Frankfurt nach Lausanne wechseln. Doch der Deutsche, der 1989 IOC-Mitglied geworden war, sagte ab, wohl aus Loyalität zu Daume.

Zehn mühselige Jahre als NOK-Präsident
Umso enttäuschter war Tröger, als Daume ihn 1992 nicht zur ersten Wahl für seine Nachfolge machte. Sein Favorit war Fecht-Olympiasieger Thomas Bach, der dem Alten imponierte, seit er als Athleten-Sprecher mutig und wortstark gegen den Olympiaboykott 1980 Stellung bezogen hatte. Aber Bach hatte keine Zeit. Er verfolgte eine ganz andere, viel weiter reichende Agenda. Erst als auch der Opel-Manager Hans-Wilhelm Gäb, ein ehemaliger Tischtennis-Spieler, verzichtete, gab Daume den Weg frei für Tröger.

Es wurden mühselige Jahre der Präsidentschaft. Tröger übernahm das schwierige Erbe des DDR-Sports, das statt der erhofften sportlichen Erfolge vor allem Stasi-Schlagzeilen und Doping-Lasten zu Tage förderte. Und dann war da noch die 1993 in Monte Carlo krachend gescheiterte Bewerbung Berlins für die Olympischen Spiele 2000, die immerhin eine wunderschöne Hauptstadt-Immobilie am Ufer des Kleinen Wannsees hinterließ, das Deutsche Olympische Institut, in dessen Mauern Tröger einmal im Jahr zum NOK-Neujahrsempfang lud.

Es war aber auch deshalb ein schwieriges Erbe, weil sich Tröger ständig und zu Unrecht an seinem Vorgänger Daume gemessen fühlte - ein unvorteilhafter Vergleich. Hier der Gedanken-sprühende Bonvivant Daume, der Hegel und Kant im Munde führte, dort der penible Jurist Tröger, der ausgerechnet Helmut Schmidt zitierte: "Wer Visionen hat, der muss zum Arzt."

Das war - nach zehn Jahren im Amt - Trögers Art zu sagen, dass alles so bleiben sollte, wie es war - genau die falsche Antwort auf den Machtkampf, der 2002 im Nürnberg zu seiner Abwahl führte, inszeniert von Manfred Freiherr von Richthofen, DSB-Präsident, und aus dem Hintergrund von Thomas Bach, dem - wir erinnern uns - Mann mit der Agenda. Tröger fühlte sich als Opfer, beklagte die Illoyalität gegenüber seiner Person, auch die Gehässigkeit der Medien bei seiner Abwahl.

Geradewegs in die Auflösung
Das Ende ist bekannt. Trögers Nachfolger Klaus Steinbach führte das NOK geradewegs in die von Trögers Gegnern betriebene Auflösung in Form einer Fusion mit dem DSB zum DOSB - Deutscher Olympischer Sportbund. Dessen erster Präsident, Thomas Bach, war selten zu Haus; 2013 erfüllte sich dann Bachs Agenda mit der Wahl zum IOC-Präsidenten.

Tröger schied 2009 altersgemäß mit 80 Jahren aus dem IOC aus, blieb aber Ehrenmitglied bis zum Schluss. Die Olympischen Spiele waren sein Leben. Ihn im nachhinein zum letzten Olympier oder auch letzten Olympioniken (wobei Olympionike im Wortsinn einen Olympiasieger bezeichnet, was Tröger nie war) zu stilisieren, wie dies einige Nachrufer taten, klingt indes genauso romantisierend wie das Heraufbeschwören einer "guten alten Zeit". Ein zur Verklärung neigender Idealist war Tröger jedenfalls nie, vielmehr Realist genug, um die Kommerzialisierung der Spiele mit allen Risiken und Nebenwirkungen zu akzeptieren - genauso wie er zuvor mit deren Politisierung im Kalten Krieg umgehen musste. Als Mitglied hat Tröger das IOC selbst in dessen schlimmsten Krisen loyal verteidigt, trotz allem. Anders als einige seiner Kollegen ist er in seiner Karriere stets integer geblieben.
Zuletzt bearbeitet 04.02.2021 17:47 Uhr