Tokio "strahlender" Sieger der Übriggebliebenen und Zukurzgekommenen

Tokios Olympiastadion von 1964, Architekt Kenzo Tange
Foto: Waka77/Wikimedia Commons
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Tokios Olympiastadion von 1964, Architekt Kenzo Tange
Foto: Waka77/Wikimedia Commons
Es gab schon schlimmere Zeiten für das IOC, aber die Olympischen Spiele 2020 gehörten gewiss nicht zu den begehrtesten. Die Kandidatenkür auf der 125. IOC-Session in Buenos Aires entpuppte sich als Dreikampf der Übriggebliebenen und Zukurzgekommenen.
  • Die spanische Hauptstadt Madrid war zwei Mal zuvor verschmäht worden; davor hatte sich Seville zweimal erfolglos beworben.
  • Istanbul hatte sich bereits 2000, 2004, 2008 und 2012 vergeblich bemüht.
  • Für Tokio, bereits Olympiastadt 1964, war es der zweite Anlauf in Folge, 2008 hatte sich Osake vergeblich beworben.
Rom verabschiedete sich noch vor der Bewerbungsschluss aus dem Kandidatenkreis; Ministerpräsident Mario Monti zog unter dem Eindruck der europäischen Schuldenkrise für den teuren olympischen Spaß lieber die Notbremse. Bei Doha (Katar) und Baku (Aserbaidschan) hätte es mutmaßlich an Geld nicht gemangelt - das IOC sortierte beide jedoch wie schon beim letzten Mal in der Vorauswahl aus technischen Gründen aus.

Und die USA? Der Hauptfinanzier der Spiele über Fernseh- und Sponsorengelder schickte gar keinen Kandidaten mehr ins Rennen, nachdem Chicago schon im ersten Wahlgang für 2016 gescheitert war und ein Streit um die Verteilung der Einnahmen zwischen IOC und USOC erst jüngst beigelegt werden konnte.

Verdient hätten den Zuschlag angesichts ihrer Bewerbungs-Historie alle drei übriggebliebenen Kandidaten. Doch sentimentale Gründe haben ebenso wie rationale - im Evaluierungs-Report, der keine Rangfolge vornimmt und angeblich von IOC-Mitgliedern nicht besonders fleißig studiert wird, bekam Tokio tatsächlich viele hohe Wertungen - selten den Ausschlag gegeben. Die geheime und deshalb stets undurchsichtige Wahl der IOC-Mitglieder ist eher machtpolitisch begründet und interessengeleitet. Weshalb spätestens jetzt von "dem Scheich" gesprochen werden muss.

Der kuwaitische Scheich Ahmad al-Sabah hatte vor der IOC-Session allen Journalisten, die es hören wollten, vollmundig versprochen, er könne Thomas Bach eine Mehrheit für die Wahl des IOC-Präsidenten verschaffen und auch Madrid die nötigen Stimmen besorgen. Damit brüstete er sich selbst vor einer deutschen Fernsehkamera. Vor allem deutsche Journalisten ließen sich von dem selbst erklärten Königsmacher beeindrucken. IOC-Kenner Jens Weinreich wagte sich in seinem Live-Blog am Wahlabend mit einer Madrid-Prognose nach vorne. Die Süddeutsche kommentierte:
"[Der spanische IOC-Ehrenpräsident und Madrid-Lobbyist Juan Antonio] Samaranch starb 2010, nun hat Madrids späte Blüte damit zu tun, dass sich der mächtigste Stimmbeschaffer im Olymp auf diese Seite schlug: Ahmad al-Sabah. Der Scheich aus Kuwait konnte alle größeren Wahlen der letzten Zeit in seinem Sinne lenken. Spiele 2020 in Europa würden den Weg für eine asiatische Bewerbung 2024 öffnen; auch für einen Golf-Staat. Und nun spielen die Umstände mit: Tokios Probleme mit Fukushima könnten all jenen Wählern Argumentationshilfe liefern, die noch auf Madrid umsatteln wollen."Süddeutsche Zeitung vom 7. September, Seite 2
So sah es vorher aus. Als die Wahl gelaufen war, konnte man vom Scheich nicht mehr viel hören oder lesen. Madrid bekam in der ersten Abstimmungsrunde genau wie Istanbul nur 26 Stimmen und schied in der Stichwahl aus. Die Schuld trugen Politik, Geld und Blutbeutel (sprich: Doping in Spanien), schrieb El País. Tokio setzte sich in der zweiten Runde souverän mit 60:36 Stimmen gegen Istanbul durch.

Das IOC habe mit diesem Votum unter dem Eindruck der holprigen Olympiavorbereitungen in Sochi und Rio wieder auf die Karte Sicherheit gesetzt, notierte der altgediente AP-Korrespondent Stephen Wilson. Reuters tickerte unverblümt:
The Japanese capital won what one insider had called a "least-ugly" contest by most effectively covering its blemishes. Rival Madrid has been laid low by the economy and Istanbul has been beset by anti-government protests.
Japans Premier Shinzo Abe war - wie auch der türkische Regierungschef Erdogan und sein spanischer Kollege Rajoy - eigens vom G-20-Gipfel aus St. Petersburg eingeflogen. Abe versicherte den IOC-Mitgliedern, dass Japan den Atomreaktor in Fukushima trotz neuer Probleme unter Kontrolle habe; er persönlich garantiere dafür.

Diese Beruhigungspille reichte, um das olympische Wahlgremium in Sicherheit zu wiegen. Stärker wog offenbar die Sorge um die wirtschaftliche Stabilität in Spanien - obwohl Madrid nach eigenen Angaben bereits 80 Prozent der Sportstätten fertiggestellt hat - und die innen- wie außenpolitische Berechenbarkeit von Erdogans Türkei. Indem sie ihrer Vorliebe für strahlende Spiele (Sueddeutsche.de) Ausdruck gaben, glaubten die Olympier wohl, das kleinere Übel gewählt zu haben. Und bis 2020 ist noch viel Zeit. Oder, wie im schnoddrigen Live Blog des Guardian zu lesen ist: "Right, seven years of analysis of what this means for Japan coming right up!"

Weitere Artikel:
Teurer Sand in den Augen der Sportfunktionäre (FAZ)
Tokio siegt mit Geld und Charme (Spiegel Online)
For 2020 Olympics, IOC picks Tokyo, Considered Safe Choice (New York Times)
Zuletzt bearbeitet 08.09.2013 12:56 Uhr