Gewichtheben vor dem olympischen Aus

Schon in der Antike und auch seit 1896, dem Beginn der olympischen Moderne, war und ist das Gewichtheben bei den Spielen dabei. Doch das könnte sich ändern. Am 8. August 2021 nämlich, dem Schlusstag der Olympischen Spiele in Tokio, beschloss die IOC-Vollversammlung weithin eher unbemerkt eine Änderung der Regel 59 der Olympischen Charta: Demnach hat die Exekutive nunmehr das Recht, eine Sportart aus dem Olympischen Programm zu streichen, wenn deren Fachverband "in einer Weise [handelt], die geeignet ist, der olympische Bewegung zu schaden" - und zwar anders als zuvor ohne Zustimmung der IOC-Plenums.

Diese Regeländerung wurde von manchen Beobachtern als eine Art Ermächtigungsgesetz kritisiert, mit dem die IOC-Führung ihre Position gegenüber den normalen Mitgliedern weiter stärkt. Im Lager der Gewichtheber wurde sie allerdings ganz konkret als letzte Warnung vor einem drohenden Ausschluss von den Olympischen Spielen verstanden.

Ein Jahr zuvor hatte ein Untersuchungsbericht dem vom Ungarn Tamas Ajan geführten Internationalen Gewichtheber-Verband (IWF) ein vernichtendes Urteil ausgestellt. Der kanadische Sportrechtler Richard McLaren, bekannt geworden durch seinen "McLaren Report" zum russischen Dopingsystem, bezeichnet darin den Führungsstil des Ehrendoktors Aján, der 50 Jahre lang zunächst als Vizepräsident, dann als Generalsekratär, schließlich als Präsident des Verbandes schaltete und waltete, als "absolut und infam". Er habe eine "Herrschaft aus Angst, Täuschung und Korruption" installiert.

Zuerst hatte die Missstände im Gewichtheber-Lager eine Recherche der ARD-Dopingredaktion enthüllt. Die Journalisten hatten zahlreiche Belege dafür gefunden, dass in Ajáns Königreich der Stemmer Dopingfälle unter den Tisch gekehrt wurden, Landesverbände sich mit Schmiergeldzahlungen freikaufen durften und Fördermittel veruntreut wurden. Dass das IOC Aján im Jahr 2000 auch als Mitglied, später Ehrenmitglied adoptierte, machte die IWF-Saga nur noch pikanter.

Zwar musste Aján im April 2020 zurücktreten, doch statt einen Reformkurs unter Leitung der US-amerikanischen Interimspräsidentin Ursula Papandrea einzuschlagen, machte der Verband ausgerechnet den bisherigen Vizepräsidenten Intarat Yodbangtoey aus Thailand zu seinem Nachfolger. Der erste Versuch, eine neue Satzung durchzusetzen, scheiterte vor den Olympischen Spielen in Tokio am 30. Juni 2021. Die New York Times kommentierte:
"Delegierte aus den Vereinigten Staaten, Deutschland und China konnten ihre Kollegen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, Lateinamerika und anderen Gewichtheber-Nationen der 'alten Garde', die durch strengere Antidopingmaßnahmen geschädigt würden, nicht überzeugen."
Erst nachdem sich die IOC-Exekutive in Tokio ihre Ermächtigung zur Suspendierung ganzer Sportarten geholt und damit den Druck auf die IWF weiter erhöht hatte, verabschiedete der schlingernde Weltverband auf seinem Kongress in Doha am 29. August 2021 im zweiten Anlauf und mit großer Mehrheit die neue Satzung. Ob dies allerdings zum Signal für die gewünschte Erneuerung der IWF taugt, ist sehr fraglich. Denn der ursprüngliche Satzungsentwurf wurde derart abgeschwächt, dass viele Protagonisten der alten Garde in ihren Sätteln verbleiben können. Dazu zählt auch der aktuelle Interimspräsident Mike Irani aus Großbritannien, ein Rheumatologe, dem als ehemaligem Vorsitzenden der Anti-Doping-Kommission der IWF eine Linderung der Beschwerden schwerlich zuzutrauen ist.
Zuletzt bearbeitet 10.09.2021 16:46 Uhr