Doping, die unendliche Geschichte

Nichts Neues an der Anti-Doping-Front: Das IOC verstärkt die Zahl der Kontrollen, aber es werden nur ein paar dumme Doping-Sünder erwischt. Ein kiffender Judoka aus den USA zum Beispiel, ja sogar eine Olympiasiegerin aus Weißrussland, die sich mit einer Muskelpille der 70er Jahre schnappen lässt (siehe: Die Dopingfälle von London).

Alles andere bleibt im Dunkeln und ist offen für Spekulationen. Während das IOC das eigene Testprogramm preist ...
“We have been stepping up our fight against doping at each edition of the Olympic Games,” said IOC Medical Commission Chairman Arne Ljungqvist. “We conducted about 4,000 tests in Beijing and 5,000 here in London. But the numbers aren’t as important as the quality. And the quality has improved significantly thanks to intelligence and information, which has helped us test based more on solid information rather than simply testing at random.”IOC-Mitteilung, 30.07.2012
... kritisieren unabhängige Forscher wie der Pharmakologe Fritz Sörgel, dass die Doping-Analytik dem pharmakologischen Fortschritt hinterherhinkt.
Allein 140 bis 160 verschiedene Epo-Präparate kursieren auf dem Globus. Sie kommen aus Indien, China, Vietnam oder Kuba. Was Wachstumshormone angeht, funktioniert gerade mal ein Test: für das Hormon HGH. Einer der am meisten eingesetzten Schnellmacher soll das Hormon IGF 1 sein. Noch immer existiert kein gesichertes Prüfverfahren. "Der Vorteil solcher Präparate liegt in der geringeren Verweildauer im Organismus", erklärt Forscher Sörgel, "schon nach 24 Stunden - oder in Extremfällen sogar noch früher - sind sie nicht mehr nachweisbar."Focus 32/12 (nur offline)
Die einzige Hoffnung ist, dass Doping-Täter noch nachträglich gefunden werden. Das IOC lässt die genommenen Proben einfrieren und aufbewahren. um sie nachträglich mit fortgeschrittener Analytik zu untersuchen. Auch staatsanwaltliche Ermittlungen können dem IOC nachträglich auf die Sprünge helfen. In London entzog die Exekutive dem US-Radprofi Tyler Hamilton die Goldmedaille im Straßenrennen von Athen 2004. Acht Jahre später.

Immerhin: Bei der weißrussischen Kugelstoßerin folgte die Enttarnung schon am Tag nach der Abschlussfeier.
Die XXX. Olympischen Sommerspiele in London waren keine zwölf Stunden beendet, da hatten sie schon wieder begonnen. Pünktlich um Mitternacht erlosch in der Nacht zum Montag das olympische Feuer. Zur Frühstückszeit konferierte im Hilton Hotel an der Park Lane [...] zunächst die Disziplinarkommission, dann das IOC-Exekutivkomitee über einen Dopingfall. Um 11.11 Uhr musste die Olympiastatistik neu geschrieben werden: Die Weißrussin Nadeschda Ostaptschuk [gemeint ist Nadseja Astaptschuk, d. Red.], 31, wurde zweimal, am Tag vor dem Kugelstoß-Wettbewerb und nach dem Finale am 6. August, positiv auf das Anabolikum Methenolon getestet. Sie verliert ihre Goldmedaille. Olympiasiegerin ist nun Valerie Adams aus Neuseeland. Silber geht an die Russin Jewgenia Kolodko, Bronze an die Chinesin Lijiao Gong.Jens Weinreich
Bis zum 7. November dauerte es, bis das IOC den zweiten Medaillengewinner auffliegen ließ: den Usbeken Soslan Tigiev, Bronze im Freistil-Ringen.

Doping, die unendliche und unendlich unbefriedigende Geschichte. Sie wäre nicht komplett, würde man nicht einen Blick auf die komplexen Interessengeflechte hinter der medikamentösen Leistungssteigerung werfen.

Sportverbände
Haben traditionell wenig Interesse, ihren schönen Sport mit Doping-Sünden zu beflecken. Da die Verfolgung innerhalb des Sportsystems stattfindet, ist Vertuschungsgefahr systembedingt gegeben. Das IOC hält die Dopingkontrollen vor und während der Spiele unter seiner Kontrolle. Auch die vom IOC gegründete, der Organisationsform nach unabhängige Welt-Anti-Doping-Agentur WADA ist bei den Spielen nur Zaungast.

Medien
Die "vierte Gewalt" ist zwar in den letzten Jahren immer Doping- und System-kritischer geworden, leidet aber unter dem Grundwiderspruch, dass die meisten Mediennutzer sich für Sport interessieren, nicht für Doping - und die Mehrzahl der Sportjournalisten auch. ARD und ZDF zahlen zwar Millionen für die Übertragungsrechte, leisten sich aber - als Feigenblatt, meinen Kritiker - Doping-Experten oder eine Doping-Task-Force.

Dopinganalytik
Was wäre die Doping-Analytik ohne Dopingsünder? Auf dem Spiel stehen Forschungsgelder und Kosten für Einrichtung und Unterhalt hoch gezüchteter Anti-Doping-Labore. Forscher und Wissenschaftler sind darauf angewiesen, dass es Doper gibt - genauso wie Hersteller von Anti-Viren-Programmen kriminelle Hacker benötigen, um sie zu bekämpfen. Um diesen Eigennutz muss man auch wissen, wenn sich der nächste Pharmakologe in einem Interview über unzureichende Ant-Doping-Maßnahmen beschwert.

Pharmaindustrie
Das undurchsichtigste Kapitel im Doping-Dschungel. Könnte es sein, dass es Pharma-Konzerne gibt, die nichts dagegen haben, dass ihre zum Teil noch gar nicht klinisch verwendeten Mixturen in freier Sport-Wildbahn angewendet werden? Die WADA hat erstmals einen Informationsaustausch über neue Medikamente mit zwei internationalen Pharma-Verbänden vereinbart. Ein Sonderfall ist der Markt der Nahrungsergänzungsmittel, der recht unverhohlen Leistungssteigerung verspricht - und das sogar ohne Doktor und ohne Rezept (dafür manchmal mit gepanschten Inhalten).

Gesellschaft
In allen Bereichen der Gesellschaft werden regelmäßig Mittelchen eingeworfen. Warum als nicht im Sport? Ein Totschlagsargument in der Doping-Diskussion. Es ist ebenso wahr wie falsch. Tatsächlich mutet es scheinheilig an, wenn ein Land wie Deutschland, dessen Bürger im Jahr 2010 4,64 Milliarden Euro für Selbstmedikation ausgaben, von seinen Spitzensportlern Abstinenz verlangt. Aber rechtfertigt dies die Preisgabe des Sports an den Pharma-Zirkus? Bitte noch einmal nachdenken.
Zuletzt bearbeitet 20.08.2012 11:38 Uhr